Eltern sehen sich aufgrund unterschiedlicher Überlegungen oftmals veranlasst, ihr Grundeigentum zu Lebzeiten auf ihre Kinder zu übertragen, sich gleichzeitig aber den Verbleib im abgetretenen Grundeigentum vorzubehalten. Dabei stellt sich in der Praxis regelmässig die Frage, ob die Eltern das Grundeigentum besser aufgrund eines Wohnrechts oder aber einer Nutzniessung nutzen sollen. Nachfolgend werden gewisse Rechtsfolgen der beiden Rechtsinstitute dargestellt, welche neben weiteren Beurteilungskriterien Grundlage für die im konkreten Einzelfall adäquate Antwort bilden.
1) Inhalt der Berechtigung
a) Wohnrecht
Das Wohnrecht vermittelt den Eltern die Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teil eines solchen zu wohnen. Da das Wohnrecht unübertragbar ist, können die Eltern die Wohnung nur selbst bewohnen, nicht aber Dritten vermieten.
b) Nutzniessung
Die Nutzniessung verleiht den Eltern den vollen Genuss des Grundeigentums. So steht ihnen das Recht auf dessen Besitz, Gebrauch und Nutzung zu. Die Eltern können die Bewirtschaftung und Verwaltung bestimmen. Aufgrund der Übertragbarkeit des Nutzniessungsrechts haben sie die Wahl, das Grundeigentum selbst zu bewohnen oder Dritten zu vermieten.
2) Kostentragung
a) Gestaltungsmöglichkeit
Das Gesetz sieht zwar Regelungen vor, welche Kosten durch die Kinder als Grundeigentümer und welche durch die Eltern als Wohnrechts- oder Nutzniessungsberechtigte zu tragen sind. Diese Regelungen können durch die Parteien jedoch abgeändert werden. Dadurch können sie primär selbst bestimmen, wer in welchem Umfang für welche Kosten aufzukommen hat.
b) Gesetzliche Regelung
Legen die Parteien keine individuellen Kostentragungsregeln fest, so verteilt das Gesetz die Kosten wie folgt:
aa) beim Wohnrecht tragen
- die Eltern nur den gewöhnlichen Unterhalt, d.h. kleine Reparaturen und Nebenkosten
- die Kinder alle übrigen Kosten
bb) bei der Nutzniessung tragen
- die Eltern den gewöhnlichen Unterhalt, die Kosten der Bewirtschaftung und Verwaltung, die Versicherungsprämien, die Hypothekarzinsen, sonstige periodische Gebühren und die Steuern
- die Kinder nur den aussergewöhnlichen Unterhalt bzw. grundlegende Arbeiten zum Schutz der Sache
3) Steuerpflicht im Besonderen
Während des Bestandes des Wohnrechts oder der Nutzniessung sind die Steuerfolgen wie folgt verteilt:
a) beim Wohnrecht versteuern
- die Eltern den Eigenmietwert als Einkommen, wobei die von ihnen getragenen Unterhaltskosten sowie die im Rahmen des entgeltlichen Wohnrechts entrichteten Gegenleistungen abzugsfähig sind
- die Kinder den Vermögenswert des Grundstücks als Vermögen und die beim entgeltlichen Wohnrecht bezogenen Gegenleistungen als Einkommen, wobei die von ihnen bezahlten Hypothekarzinsen und die übrigen von ihnen über den gewöhnlichen Unterhalt hinaus getragenen Unterhaltskosten abzugsfähig sind
b) bei der Nutzniessung versteuern
- die Eltern den Eigenmietwert als Einkommen und den Vermögenswert des Grundstücks als Vermögen, wobei der Grundstücksunterhalt und die Hypothekarzinsen sowie die im Rahmen des entgeltlichen Wohnrechts erbrachten Gegenleistungen abzugsfähig sind
- die Kinder die im Rahmen des entgeltlichen Wohnrechts bezogenen Leistungen als Einkommen
4) Errichtung
Sowohl die Errichtung eines Wohnrechts als auch einer Nutzniessung bedürfen der öffentlichen Beurkundung. Sinnvollerweise wird die Begründung einer dieser Berechtigungen bei selbiger Gelegenheit und zumeist auch im selben Vertrag wie die ebenfalls öffentlich zu beurkundende Übertragung des Grundeigentums von den Eltern auf die Kinder vorgenommen.
5) Ausgleichung
Übertragen die Eltern das Grundeigentum nicht allen, sondern nur einem oder einzelnen ihrer Kinder zu einem bewusst unter dem Verkehrswert angesetzten Preis, beispielsweise in der Höhe bzw. gegen Übernahme der bestehenden Hypotheken, bewirkt diese ganz oder teilweise unentgeltliche Transaktion grundsätzlich die Ausgleichungspflicht der lebzeitig bedachten gegenüber den nicht bedachten Kindern. Zwecks Verhinderung künftiger Zwistigkeiten über Bestand und Umfang einer allfälligen Ausgleichungspflicht ist es daher sinnvoll, die Übertragung des Grundeigentums unter Einbezug aller Kinder vorzunehmen und in einer separaten Vereinbarung den Kapitalisierungswert des Wohnrechts oder der Nutzniessung, den Anrechnungswert der Zuwendung, Umfang und Behandlung einer allfälligen latenten Grundstückgewinnsteuer, Bestand und Höhe der Ausgleichungspflicht sowie deren Erfüllung und weitere Elemente einvernehmlich und sachgerecht zu regeln.
6) Fazit
Ob, zu welchem Wert und zu welchen Gegenleistungen die Eltern ihr Grundeigentum auf alle oder einzelne ihrer Kinder übertragen und ob sich die Eltern vorteilhafterweise das Wohnrecht oder die Nutzniessung am Grundeigentum vorbehalten, bedarf einer minutiösen und weitsichtigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, u.a. der finanziellen, wirtschaftlichen und erbrechtlichen Gegebenheiten sowie der Interessenlagen und Möglichkeiten. Wollen die Eltern mit dem Grundeigentum künftig weniger zu tun haben, würde sich ein Wohnrecht anbieten. Im umgekehrten Fall wäre eher eine Nutzniessung zu favorisieren. Zu berücksichtigen ist sodann, dass bei einem alters- oder gesundheitsbedingten Übertritt der Eltern in eine Pflegeinstitution das Wohnrecht durch die Eltern nicht mehr ausgeübt werden könnte und die Eltern aus ihrer Berechtigung keine Vorteile mehr hätten. Bei einer Nutzniessung dagegen stünde den Eltern nach wie vor die Möglichkeit offen, das Grundstück zu vermieten und den Mietzins zu beanspruchen. All diese und weitere Überlegungen sind mit Bedacht und Weitsicht unter Einbezug fachkundiger Beratung anzustellen. Empfehlenswert ist es in jedem Falle, eine umfassende Lösung anzustreben, welche allen relevanten Sachverhaltselementen gerecht wird und nicht nur eine fragmentarische, isolierte Eigentumsübertragung ohne weitere Klärungen und Regelungen umsetzt.
Michael Sigerist
lic. iur.
LL.M. Internationales Wirtschaftsrecht
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt SAV Erbrecht
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